Road to Nowhere

Biking Nomads-Hilfstransport an die polnisch/ukrainische Grenze nach Medyka

Gerade geht die Sonne langsam über der Ukraine auf. Es ist ein atemberaubend schöner Anblick. Eine leere Autobahn die eine flache Landschaft teilt und direkt auf den roten Feuerball zuführt. Jeder von uns sechs Fahrern der zwei Neun-Sitzer-Transporter hängt den Gedanken nach. Die irgendwo zwischen „endlich da – hoffentlich klappt alles und was erwartet uns“ liegen. Nach 1200 Kilometern Fahrt ist es sehr still in unseren Bussen.

Hinter uns liegt eine aufregende Woche. Von der Idee bis zum Start sind gerade mal acht Tage vergangen. Man könnte jetzt sagen: Ein Wechselbad der Gefühle. Das trifft es aber nicht annähernd. Wahnsinn. Das würde besser passen. Aber da wussten wir noch nicht, was uns an der Grenze erwartet. In diesen acht Tagen lernten wir unsere Vereinsmitglieder und Freunde neu kennen. Wir waren überwältigt von der großen Welle an Hilfsbereitschaft. Ratzfatz hatten wir den geplanten Betrag für Bus-Miete, Diesel und Verpflegung beisammen. Mehr noch. Wir würden sogar unsere zwölf Fahrgäste noch zu einem Frühstück und Abendessen einladen können. Mit den Spendengütern verlief es ähnlich. Von anfänglich neun Bananenkartons waren es nur wenige Tage bis die beiden Fahrzeuge völlig überladen waren. Was erst gar nicht zu klappen schien, funktionierte plötzlich wie in einem Film im Zeitraffer. Und dann war es Freitag, 15 Uhr. Abfahrt in Backnang.

Und 13 Stunden später rauschen wir 30 Kilometer vor Medyka dem Sonnenaufgang entgegen. Eigentlich schön. Eigentlich. Wir fahren bis zum Ende der Autobahn. Bis zur Sperre. Dann weist uns ein Schild den Weg zur Auffangstation für die vor dem Krieg geflüchteten Frauen und Kinder, die gleichzeitig Verteilstelle der Hilfsgüter ist. Hunderte ukrainischer Lastzüge stehen dort bereit. Es ist kurz nach sechs, wir sind die ersten an der Entladerampe. Und plötzlich geht alles schnell. Die polnische Nationalgarde wirkt wie Red Bull auf unser übermüdetes Häuflein. Plötzlich sind zahlreiche Gardisten zur Stelle, Paletten, Hubwagen und die Busse leer. Leute mitnehmen? Ja. Und schon führt uns einer der Soldaten durch das riesige Einkaufszentrum zum Schalter der Polizei, die unsere Daten aufnimmt. In den Läden der „Mall“ stapeln sich fein sortiert die Hilfsgüter und warten auf den Abtransport. Dicht an dicht stehen in allen Gängen und Plätzen in diesem Zentrum Liegestühle mit Decken. Darauf Frauen und Kinder. Manche schlafen, manche sitzen einfach nur da und starren ins Leere. Es ist ein Anblick der uns zu Tränen rührt. Auch heute noch, zwei Wochen nach dieser Fahrt. Es ist die Mischung aus Angst, Anstrengung, traumatischen Erlebnissen und bodenloser Verzweiflung. Das Leid liegt wie eine alles erstickende Decke über diesen Menschen. Es ist still. 5000 Menschen dicht an dicht. Kinder, vom Säugling bis zum Jugendlichen. Alle still.

Der Polizist gibt einen Zettel an eine Kollegin weiter, die über Lautsprecher in diesen grotesken Geisterbahnhof „zwölf 12 Plätze nach Stuttgart/Deutschland“ hineinruft. Verunsichert sammeln sich einige Mütter um uns. Fragen. Wie? Wohin? Misstrauen. Surreal – weit über die Grenze des Erträglichen hinaus. Die Männer und Väter im Krieg; die Mütter und Kinder auf dem Weg mit völlig Fremden in eine Stadt deren Namen sie noch nie gehört haben.

Wir fahren. Sieben Frauen, fünf Kinder. Kaum auf der Autobahn fängt ein sechsjähriger Junge schon an zu kotzen. Ein anderer schaufelt unaufhörlich Essen in sich hinein. Sonst ist es still. Es ist zum Heulen. Aber wir sind eben Nomaden und so labern wir erst langsam und dann unaufhörlich Grütze. Wie die Kilometer vergehen, steckt dieses blöde Gequatsche die Menschen aus der Ukraine an. Und obwohl sie kein Wort verstehen entsteht eine bessere Stimmung. Erst recht als die Familien unglaublich herzlich von ihren Gastgebern empfangen werden. Plötzlich fällt alles von einem ab. Die Angst weicht, die Verzweiflung ist verflogen. Sie sind angekommen. Ihre Reise hat vorerst ein Ende. Ihre Straße nach Nirgendwo brachte sie in rührend nette Familien. Danke.

Und wir? Wir möchten uns bei allen sehr herzlich bedanken für die Spenden, die aufmunternden Kommentare und alle Daumen nach oben. Für die bedingungslose Menschlichkeit und Teilnahme die ihr uns entgegengebracht habt. Ja, wir fahren noch einmal. Vom 8.4. bis 9.4. Spenden willkommen.

M.H.

Spendenkonto

Tourenfreunde Biking Nomads e.V.
IBAN: DE23602500100008442914
BIC: SOLADES1WBN
Stichwort/Verwendungszweck: Ukrainehilfe